Nachdem wir nach der Busfahrt am Vortag kaum etwas von Bikaner gesehen haben, machen wir uns nach dem Frühstück auf um die Stadt zu erkunden. Schon nach fünf Minuten ist die Straße von feiernden und trommelnden Menschen verstopft. Wir bleiben in einiger Entfernung stehen und beobachten die tanzende Menge. Nach kurzer Zeit winkt uns ein junger Mann näher heran. Sobald uns weitere Tänzer bemerkt haben, gibt es kein Halten mehr. Ich werde an den Händen gefasst und im Takt geführt. Alle paar Sekunden habe ich eine andere freundlich lachende Tanzpartnerin. Als sich die Menge dem Eingang einer Festhalle nähert, beschließen wir, die Familie nun wieder allein feiern zu lassen. Aber wieder wird darauf bestanden uns ihre Traditionen zu zeigen. Viele sprechen sehr gut Englisch und so erfahren wir, dass dies der Vortag der eigentlichen Hochzeitszeremonie ist. Alle Frauen sind so festlich geschmückt, dass ich einfach nicht darauf komme, welche die Braut sein könnte. Bis ich schließlich aufgeklärt werde, dass die Braut bis zur eigentlichen Hochzeit zuhause bleiben muss. Viele der jungen Mädchen freuen sich, ihr Englisch auszuprobieren. Für Moritz ist es ein ziemlich anstrengender Mix aus verschiedenen Konversationen über Hitler, Indien, Angela Merkel, … Für mich ist die Zeit mit den Frauen deutlich entspannter. Wie eine Schwester werde ich in den ersten Stock geführt wo ich wie alle anderen von einer alten Dame meine Hände mit Henna verziert bekomme. Während die Farbe trocknet schiebt eine fürsorgliche Mutter abwechselnd ihrem Kind und mir süß-salzige Bonbons in den Mund. Immer wieder werde ich gebeten: „Please come back tonight for our dancing party!“
Als wir ein paar Stunden später im Gästehaus ankommen sind wir völlig erschöpft, beschließen aber tatsächlich zurück zu kommen. Außerdem wird Moritz vom Bräutigam auch für die Hochzeitszeremonie am nächsten Tag eingeladen.
Wir sind ein bisschen ratlos, was wir anziehen sollen. Doch wie im Iran wird uns auch hier sofort geholfen. Wie selbstverständlich gibt mir die Besitzerin unseres Gästehauses sofort etwas von sich und freut sich:“And tomorrow you will wear Sari!“
Abends kehren wir mit Lil aus Norwegen und Ken aus Australien zurück, mit denen wir uns für den Abend verabredet hatten und erfahren was rajasthanische Gastfreundschaft bedeutet. Jeder möchte uns etwas zu essen geben und so können wir uns nie selbst am Buffett bedienen sondern uns werden Teller voller Speisen überreicht von denen wir gemeinsam essen. Immer wieder erklärt uns jemand woher die Gerichte kommen und drückt dabei seinen Finger hinein. Eine ältere Dame, die ich schon vom Tanzen kenne zerteilt mit ihren Fingern eine in Sirup getränkte Süßigkeit und schiebt uns dann nacheinander ein Stück direkt in den Mund. Ich habe noch nicht ganz hinunter geschluckt, da wird mir schon die nächste Portion mit der bloßen Hand zwischen die Zähne gedrückt. Es bleibt gar keine Zeit sich zu fragen ob sich all diese Leute eigentlich die Hände gewaschen haben. Traditionell wird hier mit Süßigkeiten gestartet und so ist mir bereits schlecht als nach einem Batzen gewürzter und gezuckerter Butter, einer Kugel Eis und unzähligen Süßigkeiten das erste mal etwas Salziges auf unserem Teller landet.
Dann beginnen die Tanzeinlagen der Gäste. Jedes Familienmitglied hat einen Tanz einstudiert, der auf der Bühne aufgeführt wird. So entsteht ein abendfüllendes Programm. Die anschließende Ringzeremonie ist dann aber der Familie vorbehalten und wir sind froh ohne einen eigenen Auftritt das Fest verlassen zu können.
Am nächsten Tag organisieren wir gemeinsam mit Lil und Ken eine Kamelsafari für die nächsten zwei Tage und fahren dann mit dem Bus in den 30 km außerhalb gelegenen Rattentempel. Ich war von vornherein nicht ganz sicher, ob ich hin möchte, lasse mich aber überreden. Der Legende nach wurde er erbaut, weil eine Mutter, deren Sohn gestorben war, Karni Mata, eine Erscheinungsform der Göttin Durga darum bat, ihr Kind wieder lebendig zu machen. Karni Mata machte sich also auf den Weg in die Unterwelt und holte den Jungen zurück. Als Gegenleistung musste sie aber zusagen, dass niemand mehr aus ihrer Gemeinschaft je in die Unterwelt kommen könne sondern stattdessen als Ratte wiedergeboren würde. Es gibt mehrere verschiedene Versionen der Geschichte aber das ist die, die uns ein netter Mann an der Bushaltestelle erzählt. Vor diesem Hintergund versteht man ein bisschen besser, warum die Gläubigen die Tiere von ihren Tellern mitessen lassen. Trotzdem freue ich mich danach sehr darauf zu duschen.
Manisha, die Besitzerin unseres Guesthouses ist selbst ganz aufgeregt als sie Lil und mich abends für die Hochzeit ausstatten darf. Großzügig räumt sie ihren gut gefüllten Kleiderschrank aus.
Wir probieren viele Sariblusen an, bis endlich jeder eine passt. Dazu drapiert sie einen wunderschönen Seidensari um mich, gibt mir am Ende sogar Schmuck und Bindi und ihre kleine Tochter ist stolz uns passenden Lidschatten auftagen zu dürfen.
Als wir dann am Hochzeitssaal ankommen und aus dem Tuktuk steigen, können es die tanzenden und völlig aufgedrehten Gäste kaum glauben, dass wir uns extra so herausgeputzt haben. Dass wir uns indisch gekleidet haben freut sie besonders, weil es zeigt, dass wir ihre Kultur schätzen, erklären sie uns. Viele Selfies werden mit uns gemacht, gefühlt die Hälfte der Anwesenden will sich mit uns unterhalten und wir werden großzügig gefüttert. Leider können wir uns an den vielen verschiedenen Buffetts wieder nicht selbst bedienen. Jedesmal wenn Moritz versucht, etwas Herzhaftes zu holen, lädt ihm jemand Süßigkeiten auf, sodass wir am Ende pappsatt sind obwohl wir nicht über den ersten Stand hinausgekommen sind. Wiedereinmal bewahrheitet sich ein Tipp einer anderen Reisenden, die wir in Teheran getroffen haben: „In Indien musst du einfach komplett aufgeben und dich treiben lassen.“
Am nächsten Tag werden wir mit Lil und Ken in ein 50 km entferntes Dorf in der Wüste Tar gefahren. Dort warten vier Kamele mit ihren Besitzern auf uns. Schon das Aufsteigen ist spannend und ganz schon wackelig. Mit der Zeit gewöhnen wir uns aber daran. Es ist spannend durch ein kleines Dorf zu reiten und den Alltag der Dorfbewohner zu sehen. Wie es wohl ist, als junger Mensch an diesem Ort zu leben?
Zum Mittagessen halten wir dann unter einem Baum und die Kamelführer kochen ein einfaches Kraut-Curry mit Chapatis. Es ist schön sich mit Lil und Ken zu unterhalten. Die beiden haben sich vor 8 Jahren in Peru kennengelernt. Lil hat dann in Australien studiert und nun reisen sie seit Januar gemeinsam um die Welt.
Am Nachmittag reiten wir noch ein paar Stunden bis wir unseren Schlafplatz für die Nacht erreichen. Nachts wird es kalt und wir liegen mit bis zur Nase hochgezogen, ziemlich schmutzigen Decken unter dem freien Sternenhimmel. Wir sehen so viele Sternschnuppen, dass uns die Wünsche ausgehen und fühlen uns genau am richtigen Ort.
Am nächsten Morgen werden wir vom Rauch des Feuers geweckt, auf dem unser Guide Tee für uns kocht. Unsere Tassen säubert er mit seinem Poncho und uns fällt auf, dass wir uns zwar ständig die Hände desinfizieren, ihn aber noch nie beim Händewaschen gesehen haben. Und das wo er doch seinem geliebten Kamel die Augen mit der Hand gesäubert hat. Die Hellsichtigen unter euch, können sich die nächsten Tage bestimmt schon ausmalen…
A guats Neis no für eich zwoa! Wie immer tolle Fotos und spannende Erlebnisse. Mir grummelt schon beim Lesen der Magen. Teu, teu, teu weiterhin. Lg Maria.
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Sehr fesch im Sari. Weiterhin tolle Erlebnisse und natürlich auch von uns ein gutes Neues!!!
Claudia
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Sehr schöner Text, garniert mit tollen Fotos!
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Liebe Grüße an euch Wahl-Inder.
Ich bin begeistert von euren Berichten.
Irmi
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Schön geschrieben und wunderschöne
Bilder!
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Nach einem langen Schultag hin und wieder ein bisschen weite Welt schnuppern. Vielen Dank dafür. Du schreibst so, dass man meint zuzuschauen. Wunderbar!Grüsse auch an Moritz aus Traunreut
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Vielen Dank für die netten Worte! Die freuen uns sehr!
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Hallo ihr zwei! ich hab schon länger nicht mehr reingeschaut bei euch. Ich liebe deine Art zu schreiben, und die Bilder von Moritz sind atemberaubend. Ich grüße euch ganz herzlich aus der Wahlheimat. Eure Sabine
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